In der Regulierungsfalle

In der Regulierungsfalle

Inakzeptabel, kaum verständlich und bestenfalls einfach unnötig – das ist der Blick der Branche auf den Großteil der aktuellen Gesetzesinitiativen. Vier Mitgliedsfirmen finden deutliche Worte.

Der Bürokratiestrom aus Brüssel und Berlin reißt nicht ab. Gesche Hanken, Leiterin Recht und Steuern beim Gesamtverband textil+mode, hat alle Hände voll zu tun. Für den richtigen Praxisbezug im Lobbying ging sie Ende August mit Gesamtmasche auf Gesprächstour: Besuche bei vier Mitgliedsunternehmen lieferten reichlich Anschauungsmaterial für die politische Arbeit. 

„Wenn wir jetzt nichts machen, ist der Standort Deutschland am Ende.“

Anrd-Gerrit Rösch, Geschäftsführer von Rösch Fashion und Rökona, ist frustriert von der weltfremden Politik, die Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb schlecht aussehen lässt. „In anderen Länder bekommt man Ansiedlungsanreize, in Deutschland bekommt man Auflagen“, fasst der Chef des Tübinger Traditionsunternehmens den Zustand völliger Überregulierung zusammen. „Industrieinvestoren geben Standorten mit kostengünstiger Energie und niedrigen Abgaben den Vorzug. In Indien, den USA oder China ist das Umfeld attraktiver.“ Besonders ärgert er sich über den ideologisierten Fokus auf das Thema CO2, mit dem Europa sich zunehmend isoliere. „Wenn Umstellungen gleich welcher Art nur Kosten, aber kein besseres Produkt einbringen, dann läuft grundsätzlich etwas falsch.“ Arnd-Gerrit Rösch mahnt jetzt dazu, keine Zeit zu verlieren bei der Diskussion von „Klein-Klein“, sondern zu fragen: Was kann die Politik für Deutschland tun? Erste Schritte wünscht er sich bei der Energie, die von allen Steuern befreit werden sollte. „Die zentrale Frage bleibt doch: Was passiert auf dem Weltmarkt? Und wie erhalte ich auf dem Weltmarkt Wettbewerbsvorteile?“

„Wir erfüllen hier Auflagen, um die sich die Konkurrenz im Ausland nicht schert.“

Die Geschäftsführer Swenja Speidel und Scott Wernet beim Bodelshausener Wäschehersteller Speidel sind besorgt über den Umfang der neuen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mit gut 700 Mitarbeitern gilt der familiengeführte Wäschehersteller aus Brüsseler Sicht als Großunternehmen – und bekommt entsprechende Verpflichtungen aufgebürdet. Unfair benachteiligt sieht sich das Unternehmen durch Billig-Plattformen wie Shein und Temu, die sich im europäischen Markt breit machen. „Wir sprechen nicht nur von unfairen Methoden bei der Verzollung oder mangelhaften Produkten“, sagt Scott Wernet. „Ausländische Wettbewerber sind immer im Vorteil, da sie weniger Lasten tragen müssen, als wir sie aufgebürdet bekommen.“ Sprich: Die heimische Industrie wird mit bürokratischen Auswüchsen, Klimaabgaben und hohen Energiepreisen drangsaliert, mit denen sich Unternehmer anderswo nicht herumschlagen müssen. „Das führt nicht nur in der Wirtschaft zur schlechten Stimmung, sondern verunsichert auch die Verbraucher“, sagt Swenja Speidel. „Wir gehen proaktiv an die Herausforderungen heran.“ So setzt Speidel überwiegend auf Naturfasern. 50 Prozent der Energie, die die Strickerei benötigt, wird bereits durch Photovoltaik gewonnen.

„Heute will keiner mehr Entscheidungen treffen.“

Michael Steidle, Geschäftsführer von Mayer TechConcepts, ist als passionierter Tüftler bekannt. Mit Innovationsgeist und Leidenschaft fürs Produkt hat der Unternehmer die Textildruckerei Mayer zu einer Ideenschmiede für textile Hightech-Artikel gemacht. „Unseren Erfolg lebt von einem kleinen, engagierten Team, das immer bereit ist für Veränderungen“, sagt Michael Steidle.  „Die Hälfte davon ist aber über 50, und die Rekrutierung von Fachpersonal ist extrem schwer. „Wir haben nicht nur ein Qualitäts-, sondern auch ein Umsetzungsproblem: Heute traut sich niemand mehr, Verantwortung zu übernehmen. So wird ein neues Produkt niemals fertig.“ An einen Generationswechsel traut sich Michael Steidle gar nicht zu denken: „Die vielfältige administrative Verantwortung, die man als Geschäftsführer einer kleinen Firma heute schultern muss, ist erdrückend.“ Daneben sei die steuerliche Belastung so hoch und die infrastrukturelle Gegenleistung des Staates so gering, dass Deutschland im Standortvergleich schlechte Karten habe. Selbst um die Lkw-Maut muss er sich jetzt kümmern, weil sein Unternehmen die Ware mit einem eigenen Fahrzeug zum Ausrüster nach Albstadt bringt. „Unternehmen haben das Ziel, Geld zu verdienen“, fasst er knapp zusammen. „Daher muss man sich auch Auslandsstandorte anschauen.“

„Der Bürokratiewahn in Deutschland kennt keine Grenzen.“

Oliver Kächler, Betriebs- und Einkaufsleiter bei der Spinnerei Gebr. Otto, ist froh, dass die Geschäfte noch gut laufen. Dennoch ist sein Ärger über die erstickende Bürokratie groß. Die energieintensive Garn- und Zwirnherstellung wird inzwischen auch durch eine enorme PV-Anlage auf den Dächern der Produktionshallen mit Strom versorgt. „Wenn wir auch unsere Felder rund ums Betriebsgelände für PV nutzen dürften, wäre die 3,5-fache Leistung möglich. Doch alleine für die Umweltverträglichkeitsprüfungen brauchen wir Jahre.“ Auch beim Thema Fachkräfte ist der Frust gewaltig: „Wir haben die Arbeitsagentur gefragt, ob es unter den Asylsuchenden Menschen mit textilem Ausbildungshintergrund gibt. Dabei kam heraus, dass deutsche Behörden die Migranten überhaupt nicht nach ihrem Beruf fragen.“ Vertriebsleiter Werner Jochum fürchtet, dass die Überregulierung sukzessive viele Firmen am Standort in die Knie zwingt. „Die Konkurrenz sitzt in Ländern mit viel besseren Rahmenbedingungen, was Steuern, Energie und Personal angeht. Wir brauchen Entlastungen für die gesamte Wirtschaft – nicht nur Unterstützung für bestimmte Branchen wie z. B. Automobil, sondern wettbewerbsfähige Standortbedingungen für alle.“