Digitalisierung und digitale Transformation gehören heutzutage zum aktuellen Tagesgeschehen. Das betrifft nicht nur IT-Unternehmen. In der Textil- und Modeindustrie reicht das von innovativen Geschäftsmodellen über digitale Vernetzung mit medienbruchfreien Prozessen bis hin zu 3D-Drucken und intelligent miteinander vernetzen Maschinen.
Das Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Textil vernetzt unterstützt KMU kostenfrei, den Weg der Digitalisierung zu gehen. Eine Besonderheit des Kompetenzzentrums Textil vernetzt ist, dass die Projektpartner Hahn-Schickard, Sächsisches Textilforschungsinstitut (STFI), Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung (DITF), Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (ITA) und die Geschäftsstelle in Berlin an fünf Standorten in Deutschland zusammenarbeiten. Neben Informationsveranstaltungen erarbeitet das Team in Gesprächen und Workshops mit den Unternehmen individuelle Lösungen: Dabei wird der Blick darauf gelenkt, vorhandene technologischen Möglichkeiten zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Wie sieht das ganz konkret aus?
Moderne Produktionsanlagen können serienmäßig bereits umfangreiche organisatorische und technische Betriebsdaten erheben. Doch wie sieht eine Erhebung über mehrere Standorte aus und wie gelingt das am besten? Um dieser Frage nachzugehen, hat das Textil vernetzt-Team in den letzten Monaten an einem IIoT-Demonstrator gearbeitet. Mit dem IIoT-Demonstrator wird kleinen und mittleren Unternehmen gezeigt, wie standortübergreifende Vernetzung machbar ist, welchen Nutzen sie davon haben und wo Herausforderungen liegen.
Was ein Industrial Internet of Things-Demonstrator (IIoT) mit Corona zu tun hat
Als Modellfall haben wir uns eine Situation herausgegriffen, vor der viele Strickunternehmen am Anfang der Pandemie standen: Aufgrund der unvorhersehbaren Ereignisse mussten schnell neue Produkte hergestellt werden – in unserem Beispiel gestrickte Alltagsmasken. Hinzu kam außerdem, dass der Lockdown die Entsendung von Spezialisten an verteilte Produktionsstandorte erschwert hat.
Vorrangiges Ziel in einer solchen Situation ist es, schnell und an möglichst vielen Standorten das neue Produkt in hoher Stückzahl und guter Qualität herstellen zu können. Der grundsätzliche Entwurf des Produktes kann zwar einfach zwischen Standorten ausgetauscht werden. Aber es sind natürlich Anpassungen und Optimierungen mit Blick auf die Besonderheiten des jeweiligen Standortes notwendig. Standortübergreifend vernetzte Systeme haben aus unserer Sicht viel Potenzial: Sie sind effektiv und vielfältig einsetzbar.
Wir haben mit Herrn Dr. Seeger vom Sächsischen Textilforschungsinstitut e. V. (STFI)gesprochen und ihn gefragt:
Herr Dr. Seeger, Sie bringen gemeinsam mit den Textil vernetzt-Projektpartnern einen IIoT-Demonstrator ans Laufen – ein sehr spannendes Vorhaben. Was ist Ihre ganz spezielle Aufgabe bei der Realisierung des Projekts?
Ich verantworte am Standort Chemnitz den Aufbau des Demonstrators und die Integration in das standortübergreifende Netzwerk. Daher gehört auch die enge Abstimmung mit den Partnern und die Koordinierung der notwendigen Arbeiten mit den Strickspezialisten in unserem Institut zu meinen Aufgaben. Als Forscher interessiert mich natürlich auch der Einblick in den Strickprozess und das Maschinenverhalten, den ich erstmals durch die zusammengeführten und zusätzlichen Messdaten erhalte.
Der Demonstrator wird in der Hauptgeschäftsstelle in Berlin den Blick auf die Daten aller Maschinenstandorte ermöglichen. Vor welcher Herausforderung stehen Sie aktuell?
Zu allererst einmal haben die verschiedenen Standorte unterschiedliche Maschinentypen und damit auch unterschiedliche Anforderungen und Voraussetzungen, was die Vernetzung der Maschinen betrifft. Das ist eine ganz realistische Situation, die auch für Unternehmen wahrscheinlich ist. Hier steckt die Herausforderung also im technischen Detail.
Ein weiterer Aspekt ist, dass wir die Maschinen in häufig wechselnden Konfigurationen betreiben müssen. Es ist daher schwierig, eine Datenbasis für den „normalen Produktionsbetrieb“ zu erzeugen. Genau vor dieser Situation stehen Unternehmen, die gerade erst mit einer Datenerfassung ihrer Maschinen beginnen.
Und natürlich müssen wir die Vertraulichkeit von Daten sicherstellen, die auf den Maschinen außerhalb des Demonstrator-Betriebes anfallen. Das damit verbundene Thema Datensicherheit wie z. B. Verfügbarkeit, Vertraulichkeit, Integrität spielt bei der Produktion von Strickwaren vielleicht heute noch nicht die große Rolle. Es wird aber sofort relevant, wenn Nachverfolgbarkeit in der Produktion für verschiedene Kunden umgesetzt werden muss. Als Stichworte dazu fallen mir sofort Fair Fashion, Medizinprodukte, technische Textilien und das Lieferkettengesetz ein.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Was wird das Erfolgsgeheimnis des IIoT-Demonstrators für die Textilbranche sein?
Viele Unternehmen stehen gerade vor großen Herausforderungen und müssen ihre Antworten auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie finden. Dazu müssen viele interne Prozesse auf den Prüfstand gestellt, verbessert oder angepasst werden. Dies sind aber auch hervorragende Gelegenheiten, das Thema Datenerfassung und Vernetzung mitzudenken und anzugehen. Dadurch entsteht sofort eine höhere Transparenz über die eigenen Produktionsprozesse. Auf lange Sicht können KMU damit eine bessere Grundlage für Entscheidungen oder neue Geschäftsmodelle schaffen: Können kleinere Serien oder gar individualisierte Produkte angeboten werden, weil die Einarbeitungsprozesse gut beherrscht werden? Welche Individualisierungsmöglichkeiten könnten wir gut in der Produktion umsetzen? Dies sind Fragen, die sich viel besser auf der Basis von Messdaten als persönlichen (Ein-)Schätzungen beantworten lassen.
Nach meiner Erfahrung ist der wichtigste und oft auch schwerste Schritt, mit der Datenerfassung überhaupt zu beginnen. Ein offenes Geheimnis ist also, dass wir zur Nachahmung anstiften. Wie wir die Herausforderungen genau gemeistert haben – diese Geheimnisse lüften wir natürlich erst in den kommenden Veranstaltungen, in denen wir den Demonstrator vorstellen werden.
Was können KMU mithilfe des IIoT-Demonstrators lernen und wie unterstützen Sie die kleinen und mittleren Unternehmen am Textil vernetzt-Schaufenster „vernetzte Produktionssysteme und Ressourceneffizienz“ am Sächsischen Textilforschungsinstitut e. V. (STFI) dabei?
Vor allem zeigen wir natürlich, wie man solche Projekte erfolgreich angehen kann, welche Voraussetzungen nötig sind und welcher Nutzen realistisch zu erwarten ist. Unser IIoT-Demonstrator veranschaulicht, wie verschiedene Datenquellen im Unternehmen erschlossen und eingebunden werden können.
Grundsätzlich können Demonstratoren auch in unserem Schaufenster erlebt werden; bis auf weiteres aber unter den jeweils geltenden Einschränkungen aufgrund der Pandemiesituation. Unsere Erfahrungen aus dem Aufbau der Demonstratoren, das Grundlagenwissen über die dazu verwendeten Techniken und Technologien integrieren wir in unsere Labtouren, Workshops und wir unterstützen KMU beim praxisnahen Einstieg.
Unternehmen können uns gern mit konkreten Themen und Anliegen ansprechen, gerade im Bereich der Nutzbarmachung der Daten mit Methoden der Künstlichen Intelligenz freuen wir uns auf herausfordernde Problemstellungen aus den KMU, die wir dann gemeinsam in Mikroprojekten angehen können.
↘ Autorin: Dr. Maria Rost, textil + mode, MRost@textil-mode.de