EU strebt Freihandel mit Indien an

EU strebt Freihandel mit Indien an

Die EU-Indien-Freihandelsverhandlungen bieten Chancen für die EU-Textil- und Bekleidungsindustrie. Doch die Branche muss aufpassen, nicht zur Verhandlungsmasse zu werden.

Im Juli 2022 hat die Europäische Union ihre Freihandelsverhandlungen mit Indien wieder aufgenommen. Das ist eine Chance für die EU-Textil- und Bekleidungsindustrie auf fairere Bedingungen im Handel mit dem Subkontinent. Doch die EU könnte die Branche anderen Interessen unterordnen. Ein willkommener Köder zugunsten Indiens, das gerade im Textilsektor auf Marktzugang pocht? Schließlich ist das Land der viertgrößte Textil- und Bekleidungslieferant der EU.

Ein erster Anlauf zu einem Handelspakt EU-Indien wurde bereits 2007 genommen. Doch 2013 wurden die festgefahrenen Verhandlungen abgebrochen. Heute geht es für beide Partner mehr denn je um eine geopolitische Allianz. Die globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse verschieben sich zusehends zugunsten Asiens, und die EU steht unter größerem Druck, einen erfolgreichen Abschluss zu erreichen. Im Sinne einer geopolitischen Allianz dürfte Indien wiederum nach seinem Rückzug aus der RCEP daran gelegen sein, möglichst rasch andere Partnerschaften zu vertiefen. So geben sich beide Seiten optimistisch, „Wirtschaftswachstum erzielen und Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen“ zu können.

Tatsächlich sind die Verhandlungsbedingungen für die EU ein Jahrzehnt nach Abbruch der ersten Runde nicht einfacher geworden, denn zusätzlich zu den alten Forderungen in den Bereichen Automobil, Einzelhandel, Landwirtschaft und Finanzdienstleistungen hat sie ein Bündel von Nachhaltigkeitsanforderungen mit im Gepäck, auf die sie Indien einschwören will. Das macht die klassischen Verhandlungen um tarifäre und nicht-tarifäre Zugeständnisse noch schwieriger als bisher. Zu Indiens offensiven Interessen gehört auch der verbesserte Marktzugang im Textil- und Bekleidungsbereich. Hier droht die Branche zum Bargaining Chip der EU zu werden.

Ein offensives Vorgehen auch seitens der EU in diesem Bereich wäre wünschenswert. Bei den ersten Verhandlungen ab 2007 hatte die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie noch ein „zero for zero“ gefordert, d. h. die rasche Abschaffung der Zölle auf beiden Seiten. Heute präsentiert die europäische Branchenlobby Zollabbauvorschläge mit zahlreichen Ausnahmen und langjährigen Stufenplänen, insbesondere im Bereich Chemiefaser. Entsprechend zurückhaltend dürfte Indien seinerseits bei der Marktöffnung sein. Die EU-Textilbranche wird dann zusehen müssen, nicht vor verschlossenen Türen zu stehen, während zuhause alle Schranken abgebaut werden.

Verhandlungsinteressen EU Verhandlungsinteressen Indien
Landwirtschaftliche Erzeugnisse

Kraftfahrzeuge

Einzelhandel

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen

Investitionen

Öffentliches Beschaffungswesen

Schutz geistiger Eigentumsrechte, insb. Arzneimittel und Landwirtschaft

Digitaler Handel

Energie und Rohstoffe

Nachhaltige Lebensmittelsysteme

Staatseigene Unternehmen

Zugang zum Dienstleistungssektor für indische Arbeitnehmer

IT-Dienstleistungen

Textil und Bekleidung

Leder und Schuhe

Edelsteine und Schmuck

Automobilteile

Maschinenteile

 

 

 

 

Indiens durchschnittliche Drittlandszölle für landwirtschaftliche und nicht-landwirtschaftliche Erzeugnisse liegen bei 39,2 Prozent bzw. 14,9 Prozent. Für Bekleidung werden i. d. R. um die 20 Prozent fällig, für Garne und Stoffe um die 10 Prozent. Eine Studie im Auftrag des EU-Parlaments schätzt den Verlust an Zolleinnahmen bei ambitionierten Zollsenkungen für Indien auf 0,91 Mrd. Euro, für die EU auf 1,86 Mrd. Euro. Indien klagt bereits darüber, dass größere Einschnitte bei den Zöllen die Mittel beschneiden würden, die das Land zur Erreichung der Sustainable Development Goals benötigt. Gleichzeitig fokussieren sich Indiens Interessen am EU-Markt nur auf ausgewählte Branchen, darunter Textil und Bekleidung, Leder, Edelsteine und Schmuck, Maschinenteile und IT. Konsumgüterbranchen und vergleichsweise kleine Branchen in der EU müssen daher gut aufpassen, nicht zum Faustpfand zur Durchsetzung anderer EU-Interessen zu werden.