„In Europa Unternehmen im Rahmen des Green Deal mit zahllosen Gesetzesänderungen in die Zange nehmen, aber tatenlos zusehen, wie unser Markt mit Billigst-Mode und anderen Billigst-Artikeln aus China geflutet wird. Damit muss Schluss sein! Wir fordern Berlin und Brüssel auf, Rechtsverstöße von digitalen Geschäftsmodellen nicht tatenlos hinzunehmen.“
Ausgangslage:
Rund 400 000 Päckchen kommen nach Einschätzung von Logistikexperten jeden Tag von chinesischen Flughäfen in Deutschland an. Der Inhalt: Billigst-Waren aus China, die Kunden im Internet bestellt haben bei Online-Marktplätzen wie z. B. Temu und Shein. Der Transport erfolgt per Luftfracht. Branchenexperten schätzen, dass beide Plattformen täglich Waren Richtung USA und Europa ausfliegen, die einem Volumen von 100 Flugzeugtransportern vom Typ Boing 777 entsprechen. Vorteil des Geschäftsmodells, bei dem die Waren direkt von den chinesischen Herstellern an die Kunden per Luftpost verschickt werden: Die Anbieter sparen sich die Lager-, aber auch die Zollkosten, weil die Waren in kleine Päckchen gepackt werden, die unter der bisherigen Bagatellgrenze von 150 Euro liegen.
Die Folgen sind verheerend:
- Die Luftfracht hat pro Kilogramm einen viermal größeren CO2-Fussabdruck als der Transport per Containerschiff.
- Zoll- und Marktüberwachung kommen schon allein wegen der schieren Masse mit der Kontrolle nicht hinterher. Bei Stichproben wurden immer wieder Verstöße gegen Sicherheits- und Chemikalienauflagen festgestellt.
- Die Verkaufsmethoden im Netz mit Spielen, Influencern und immer neuen Rabattaktionen unterlaufen den Verbraucherschutz zum Schaden deutscher Hersteller und Händler, die sich an Recht und Gesetz halten.
- Die Pakete der Online-Plattformen verstopfen die Luftfrachtwege und treiben die Transportkosten in die Höhe.
Der Gesamtverband textil+mode schlägt deshalb Alarm:
- Die asiatischen Online-Billigplattformen machen ihre Geschäfte nicht nur auf Kosten der Umwelt, sie setzen auch den freien, fairen Wettbewerb außer Kraft. Unsere nach höchsten Umwelt- und Sozialstandards produzierenden Textilhersteller, die hier in Europa Steuern zahlen und entlang der Lieferketten in vielen Ländern für Wertschöpfung sorgen, müssen zusehen, wie Gesetze in Europa faktisch unterlaufen und Produkte in einer Art Casinomentalität an die Kunden gebracht werden.
- Während europäische Hersteller mit einer Flut von Berichtspflichten, Chemikalienverboten und Anforderungen aus der Lieferkettengesetzgebung zu kämpfen haben, überschwemmen asiatische Plattformen wie z. B. Shein und Temu den europäischen Markt mit Ultra Fast Fashion und anderen Billigwaren, ohne annähernd den regulatorischen Aufwand und die Kosten europäischer Hersteller und Händler zu haben. Damit entstehen europäischen Herstellern, Händlern und dem Einzelhandel milliardenschwere Umsatzverluste mit irreversiblen Schäden auch für unsere Innenstädte.
Diese Punkte sind aus Sicht des Gesamtverbandes textil+mode jetzt entscheidend:
- Die geplante EU-Zollreform muss in den relevanten Teilen schneller umgesetzt werden. Die EU-Regulierungsbehörden denken aktuell über eine Abschaffung der 150-Euro-Zollfreigrenze nach. Eine Entscheidung soll bis 2028 getroffen werden. Das muss schneller gehen. Sollte dies nicht möglich sein, muss die Bagatellgrenze noch unter dem bisherigen Zollrecht abgeschafft werden. Zudem brauchen wir eine Stärkung des Zolls, der für die Paketabfertigung zuständig und mit der schieren Masse schlicht überfordert ist.
- Statt Überlegungen im Rahmen der Ökodesign-Verordnung Fast Fashion auf dem Europäischen Markt einzudämmen, braucht es dringend eine überzeugende Antwort auf Online-Geschäftsmodelle, die den EU-Markt mit Ultra Fast Fashion überschwemmen. In keinem Fall darf es zu einer weiteren Verschärfung für nachhaltig agierende Unternehmen kommen. Im Gegenteil: Ihre Wettbewerbsfähigkeit muss gestärkt werden!
- Wir brauchen ein einheitliches europäisches Level Playing Field. Rein nationale Vorstöße wie aktuell in Frankreich, von Unternehmen wie z. B. Shein bis zu 10 Euro pro verkauften Artikel eine Art Strafgebühr zu erheben und Werbung durch Influencer einzuschränken, stehen im Widerspruch zur EU-Binnenmarktgesetzgebung. Eine weitere Fragmentierung des Binnenmarkts ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Wir brauchen auch hier mehr, nicht weniger Europa!
- Wir fordern eine sofortige wirksame Durchsetzung des geltenden Rechts. Denn die Anforderungen des europäischen Produkt-, Verbraucher- und Lauterkeitsrechts beim Direktversand von Waren über Plattformen wie z. B. Temu und Shein an Verbraucher in der EU werden vielfach nicht eingehalten. Weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber ist in der Lage, seine Verordnungen und Gesetze gegenüber asiatischen Unternehmen vollständig durchzusetzen. Diese Defizite in der Marktüberwachung führen zu inakzeptablen Risiken beim Verbraucherschutz und zu Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten europäischer Unternehmen. Der Standort Europa wird dadurch unnötig geschwächt. Die zuständigen Behörden müssen unverzüglich alles rechtlich Mögliche tun, um endlich rechtmäßige Zustände herzustellen.
- Um eine wirksame Rechtsdurchsetzung auch gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten zu gewährleisten, sollten diese umgehend einen verantwortlichen, amtlich registrierten und öffentlich bekanntzumachenden Vertreter benennen müssen, der in der EU niedergelassen sein muss und bei der behördlichen und privaten Rechtsdurchsetzung in Anspruch genommen werden kann. Anderenfalls laufen Sanktionen wie Buß- und Ordnungsgelder ins Leere, weil sie gegenüber asiatischen Händlern de facto nicht durchgesetzt werden können.
- Es muss sichergestellt werden, dass sich alle Händler an die regulatorischen Anforderungen halten. Das betrifft auch europäische Online-Plattformen/OnlineMarktplätze. Sie müssen Händler aus Drittstaaten sperren, die der Pflicht zur Benennung eines verantwortlichen Vertreters in der EU nicht nachkommen. Wenn Online-Plattformen nicht kooperieren, müssen wirksame Maßnahmen auch gegenüber der Plattform möglich sein.
- Die Geschäftsidee von Onlineplattformen wie z. B. Temu und Shein geht auf Kosten der endlichen Ressourcen. Bei den Preisen kann sich jeder ausrechnen, wie„nachhaltig“ die Produkte hergestellt und transportiert worden sind und wie „gut“ die Qualität sein kann. Wir appellieren auch in diesem Zusammenhang noch einmal an die Verbraucher, bei ihrem Kauf an Nachhaltigkeit zu denken.