Die deutsche Textil- und Bekleidungsbranche beschafft einen bedeutenden Teil ihrer Vor- und Fertigprodukte außerhalb Europas. Gleichzeitig forciert die Branche ihren Absatz in neuen Wachstumsregionen. Mehr denn je werden deshalb Engpässe im Seeverkehr zum Risikofaktor für die Lieferkette. Wo Nearshoring keine Option ist, können neue, sicherere Landrouten Laufzeiten und Kostenrisiken vermindern.
Die Verwundbarkeit der internationalen Seewege trat in den letzten Jahren mehrfach offen zu Tage: Während der Pandemie sorgten Hafenschließungen und Staus an den Docks für Chaos in den Lieferketten. Als 2021 das Containerschiff Ever Given den Suezkanal blockierte, schossen die Frachtraten in die Höhe.
Seit Ende 2023 machen die Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer große Umwege im internationalen Seeverkehr notwendig. Unfälle, Streiks oder Unwetter an wichtigen Knotenpunkten haben Rückwirkungen auf das weltweite Transportgefüge. Manche dieser Krisen sind temporärer Natur, andere bleiben. Alle zeigen: Die aktuelle Struktur ist extrem anfällig. Insbesondere der Seeweg von und nach Asien ist inzwischen teuer, gefährlich und langsam. Aufgrund der damit verbundenen wirtschaftlichen Einbußen suchen viele Unternehmen nach Alternativen. In Frage kommen vor allem Landrouten. Die Auswahl ernstzunehmender Alternativen wächst.
Riskante Engstellen im Seeverkehr
Im Nahen Osten rund um die Arabische Halbinsel liegen wichtige Seewege für internationale Containerfracht oder Massengüter. In Ost- und Südostasien liegen ebenfalls wichtige Wasserstraßen und mögliche Krisenspots wie die Taiwanstraße und die Straße von Malakka. Diese Nadelöhre befinden sich in der direkten Einflusssphäre Chinas. Störungen hätten erhebliche Folgen für den weltweiten Warenhandel.
Alternativrouten zwischen Asien und Europa
Ist der Suezkanal blockiert, ist derzeit die einzige Alternative der Umweg über das Kap der Guten Hoffnung. Dasselbe gilt für eine Blockade der Straße von Malakka. Landrouten bieten seit Jahren Alternativen zu den Seewegen, doch die Kapazitäten sind noch begrenzt. Transkontinentale Routen von China über Russland oder über Zentralasien (Eurasische Korridore) werden derzeit weiter ausgebaut, ebenso der ASEAN-ChinaKorridor, eine neue Land-See-Verbindung zwischen China und Südostasien. Indien-Europa-Korridore – die Route von Indien über den Nahen Osten nach Europa und der Internationale Nord-Süd-Korridor – sind für den Ost-West-Handel noch Zukunftsmusik. Doch mit der wachsenden Bedeutung Indiens für Europa haben sie großes Entwicklungspotenzial. Die neuen Verkehrswege, die bislang eher von regionaler Bedeutung sind, könnten sich zu transkontinentalen Routen entwickeln.
Nördlicher Korridor
Der nördliche Landkorridor von China über Russland, teils auch über Kasachstan, nach Europa ist neben dem transkaspischen und dem südlichen Landkorridor eine von drei möglichen Alternativen. Seit Beginn der Rotmeer-Krise Ende 2023 gewinnt vor allem der nördliche Korridor durch Russland wieder an Attraktivität – obwohl die Route seit dem Ukrainekrieg von europäischen Logistikern weniger genutzt wurde. Europäischen Logistikunternehmen wie DHL und die niederländischen Rail Bridge Cargo schätzen das Wachstum des Europa-Asien-Transports per Bahn im 1. Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 25 bis 40 Prozent. Zu Land sind Güter zwischen Europa und Asien in nur zwei Wochen am Ziel. Containerschiffe brauchen dagegen schon ohne Krisen 32 bis 45 Tage, beim Umweg über das Kap der Guten Hoffnung sogar bis zu 55 Tage. Dennoch bleibt das Geschäft auf dem nördlichen Korridor volatil, vor allem wegen der Russland-Sanktionen. Mittlerer Korridor Eine deutlich kleinere Rolle spielt der Mittlere oder transkaspische Korridor über Kasachstan, Kaspisches Meer, Südkaukasus und Schwarzes Meer. Er repräsentiert nur etwa 3 Prozent des Frachtaufkommens auf dem Nordkorridor. Noch sind die Fährverbindungen über das Kaspische Meer nicht abgestimmt, so dass der Weg noch teuer und gleichzeitig langsam ist. Die Kapazität wird derzeit erweitert und könnte künftig eine interessante Alternativroute über die Türkei darstellen. Die EU unterstützt die zentralasiatischen Länder dabei mit ca. 10 Mrd. Euro.
Südlicher Korridor
Eine weitere Alternative ist der Weg über Zentralasien und Iran in Richtung Türkei, auch wenn deutsche Unternehmen diese Option wegen internationaler Sanktionen gegen den Iran derzeit nicht direkt nutzen können. Die Türkei nutzt die Route bereits. Trotz der geopolitisch schwierigen Lage dürfte der Iran ein zunehmend wichtiges Transitland werden. Routen von Indien nach Europa würden eine Anbindung an Südasien und die arabischen Länder beinhalten.
Die Eurasischen Korridore
2023 wurden insgesamt rund 1,9 Millionen Zwanzig-Fuß Containereinheiten (TEU) per Bahn auf dem nördlichen Korridor transportiert. Dies umfasst sowohl den China Europa-Handel, der Russland im Transit passiert, als auch den direkten China-Russland-Handel. Diese Gütermenge betrug rund ein Achtel der im selben Jahr per Schiff zwischen China und Europa versandten rund 16 Millionen TEU (Container Trades Statistics, CTS).
Silvia Jungbauer, jungbauer@gesamtmasche.de